Ist das Müll oder kann das weg? Als eine Putzfrau im Februar 2016 Teile einer Installation der Künstlerin Romana Menze-Kuhn in der Mannheimer Philippuskirche in den Müll warf, war das wohl ein Versehen. Dasselbe gilt für die Rentnerin, die im August 2012 ein Jesus-Fresko in einer Kirche der spanischen Kleinstadt Borja auf eigene Faust restaurieren wollte – und es völlig zerstörte.
Als Google jedoch im Juni 2016 den Blog des Schriftstellers Dennis Cooper samt URL einfach so aus dem Internet tilgte, war das pure Absicht – und zerstörte mal eben so 14 Jahre künstlerischen Schaffens.
Cooper nutzte die Adresse denniscooper-theweaklings.blogspot.com nämlich für die Veröffentlichung und Verbreitung seiner schriftstellerischen Kunstwerke.
Seit 2002 besaß er seine private und beim Google-Dienst Blogger.com gehostete Distributionsplattform „DC’s Blog“. 14 Jahre lang publizierte er dort ungestört Dinge wie den von Kritikern gefeierten animierten GIF-Roman „Zac’s Haunted House“. Auch ein innovativer „html-Roman“, der fast ganz ohne jedes geschriebene Wort auskam, fand auf dem Blog seinen angestammten Platz.
Bis dann auf einmal alles weg war. Notizen, Ideen, Manuskripte – komplett gelöscht, die hochfrequentierte Webadresse und den E-Mail-Account beim Google-Dienst Gmail, mit der abgespeicherten Korrespondenz von mehr als zehn Jahren, gleich mit.
Cooper rätselte über die Hintergründe
Nun muss man wissen, dass Cooper keineswegs die sprichwörtliche Unschuld vom Lande ist. Der Autor, Dichter, Journalist, Blogger und Performancekünstler ist bekannt für seinen Hang zu extremen und skandalösen Themen. Von Sadismus und Selbstzerstörung geprägte Queer-Protagonisten leben in seinen Kurztexten und Essays häufig abstrakte Fantasien aus. Schnell entwickelte sich „DC’s Blog“ unter der bekannten Domain zum Treffpunkt einer lebhaften Online-Community. Schriftsteller, Künstler, Verleger, Musiker und LGBT-Aktivisten tauschten sich beinahe täglich auf dem Blog mit dem Titel „The Weaklings“ aus.
War Cooper also womöglich mit einem seiner literarischen Kunstwerke über das Ziel hinausgeschossen? Hatte er die Google-Nutzungsbedingungen für Blog-Betreiber verletzt? Fühlte sich jemand belästigt?
Eine konkrete Begründung war von Google nicht zu erfahren. Besucher bekamen lediglich nach Eingabe der Adresse denniscooper-theweaklings.blogspot.com die Standard-Fehlermeldung für gelöschte Blogs zu sehen: „Blog wurde entfernt“, hieß es da. Und weiter: „Die Adresse ist für neue Blogs nicht mehr verfügbar“.
Telefonische Kontaktversuche seitens Cooper blieben erfolglos. Ebenso das Unterfangen, per E-Mail Näheres zu den Hintergründen herauszufinden. „Verletzung der Nutzungsbedingungen“ tauchte immer wieder als Begründung in den automatisierten Antworten auf.
Cooper selbst vermutete, dass einige seiner früheren Blogeinträge für Google ein Problem waren. In einigen hatte er Ausschnitte von Nutzer-Profilen verschiedener Dating-Plattformen zusammengetragen und daraus auf skurrile Art künstlerisch Figuren arrangiert. Allerdings: Wenn auch vielleicht etwas anstößig – wirklich explizit waren die veröffentlichten Bilder nie.
Cooper tappte also zunächst im Dunkeln. Selbst die Nutzungsbedingungen, auf die Google verwies, gaben keinen Aufschluss.
Google lenkte doch noch ein
Cooper jedenfalls war in der Folge zwiegespalten: zehn Jahre Arbeit, Tausende von Blog-Beiträgen, jede Woche bis zu sechs Tage Aufwand, eine bis dahin häufig aufgerufene Webadresse und ein neuer GIF-Roman, an dem er sieben Monate gearbeitet hatte – alles gelöscht. Sollte er nicht zumindest diese Inhalte zurückbekommen, werde er seine Arbeit im Internet wohl nicht fortsetzen, teilte er seinen Fans bei Facebook mit.
Nach zwei Monaten fand die Geschichte dann doch einen versöhnlichen Abschluss: Nachdem das Thema durch Medienberichte in die öffentliche Wahrnehmung gerückt war, nahmen Googles Anwälte Kontakt mit Coopers Rechtsbeistand auf. Eine Lösung sollte her. Am Ende willigte der Konzern überraschend ein, dem Künstler seinen Blog mitsamt URL zurückzugeben.
Und warum löschte Google Coopers Blog nun wirklich?
Auch eine Begründung lieferte Google noch nach: Hin und wieder rief Cooper auf seinem Blog einen „Self-Portrait Day“ aus. Seine Leser waren dann dazu aufgefordert, eigene Beiträge zu einem bestimmten Thema einzureichen. Irgendwann 2006 ging es um Dinge, die die Blog-Nutzer als „sexy“ empfanden. Einige der Fotos waren damals tatsächlich recht explizit, wie Cooper auf seinem Facebook-Profil zugibt.
Zur vorübergehenden Löschung der Sub-Domain denniscooper-theweaklings.blogspot.com führte dann letztlich die Meldung eines anonymen Nutzers, der behauptete, auf einem der ausgelagerten Bilder verbotenes Material entdeckt zu haben. Cooper bestreitet das bis heute vehement – und konnte offensichtlich auch Google davon überzeugen.
Und die Moral von der Geschichte?
Was Sie aus dieser Geschichte mitnehmen können? Vertrauen Sie einem einzelnen Online-Dienst lieber keine wichtigen Daten oder Ihre kompletten künstlerischen Werke an – zumindest nicht, ohne eine Datensicherung davon anzufertigen. Oder setzen Sie gleich Ihren Blog auf einer eigenen Domain auf: Diese kann Ihnen ein privates Unternehmen jedenfalls nicht so ohne Weiteres aufgrund eines Missverständnisses abschalten.